Tod und Doctor Who, oder: Warum ich meinen 50. Geburtstag ignoriere

Vorab ein inhaltlicher Hinweis: Der Titel deutet es an, da ist ein sehr persönlicher Text, den ich schreiben WILL. Es geht darin um Krankheit, Trauer und Tod. Und schlimmer noch: die neuen Doctor-Who-Specials werden gespoilert.

Die richtig guten Bücher, Filme, Spiele und Lieder sind diejenigen, die uns tief berühren, die etwas in uns in Vibration versetzen, von dem wir nicht wussten, dass es in uns ist. Das muss nicht unbedingt mit der Qualität dieses Medienprodukts zu tun haben. Manchmal ist eine Parallele, die eine Erinnerung freisetzt. Wie ein Geruch, den man mit einem Ort, mit einer Zeit in Verbindung bringt. Und manchmal wird man davon überrumpelt. So wie ich Anfang Dezember 2023 vom dritten Doctor-Who-Special „The Giggle“ , als ich am Ende heulend auf der Couch saß.
Ohne jetzt in die ganze Mythologie dieser 60jährigen Serie einzutauchen: es war schon vorher klar, dass David Tennants Rückkehr in seine Paraderolle nur ein Übergang sein und dass er in dieser Folge von Ncuti Gatwa abgelöst werden sollte. Showrunner Russel T. Davies überraschte dann aber damit, dass der Doctor sich nicht „regenerierte“, also komplett ersetzt wurde (wer die Serie nicht kennt und gerade weiterklicken will, keine Sorge, bin gleich fertig), sondern dass er sich teilte und es nun zwei Doctors gibt.
Ich mochte die Folge sehr. Sie bot die Mischung aus Ernsthaftigkeit und Humbug, die ich von der Serie erwarte. Also „Whombug“. Bin mir nicht sicher, was ich davon halten soll, dass Tennants Doctor nun ein Rentnerleben führt, aber das muss ja nicht auf Dauer sein.
Dass sie mich so tief getroffen hat, ist zu einem Teil sicher auch dem erzählerischen Kunstgriff geschuldet, dass Tennant sich nicht auflöste, sondern begeistert seinen Nachfolger in die Arme schließen konnte. Und Gatwas Enthusiasmus ist sowieso ansteckend.
Nein, meine ganz persönliche Situation war, dass das eine Reihe von Erinnerungen und Gefühlen geweckt hat.

Die unmittelbar mit der Serie zusammenhängen.

Ich weiß nicht mehr, wann genau ich „The Time of the Doctor“ gesehen habe. Es handelt sich um das „Christmas Special 2013“, aber ich glaube mich zu erinnern, dass es erst Anfang 2014 in Deutschland zu sehen war, und das auch nur auf dem Pay-TV-Sender Sky. Den ich nicht hatte. Aber meine Eltern in der Nachbarschaft. Also konnte ich mich bei ihnen auf die Couch pflanzen, um zu sehen, wie sich der elfte Doctor Matt Smith zu Peter Capaldi regenerierte. Und dabei sagen durfte:
We all change, when you think about it. We’re all different people all through our lives. And that’s okay, that’s good, you gotta keep moving, so long as you remember all the people that you used to be.
Diese Zeilen wirkten umso stärker, weil meine Mutter neben mir auf der Couch lag und schlief.
Und an Krebs starb.
Anfang 2014 war noch diese Zwischenzeit, in der die Diagnosen immer schlechter wurden, aber niemand die Hoffnung aufgeben wollte. In der es abwärts ging und niemand sich eingestehen wollte, dass keine Heilung mehr möglich war. Es würde noch einige Monate dauern, bis nur noch Sterbebegleitung möglich war. Bis die letzte Hoffnung weg war.
Weihnachten 2013 und die Wochen danach war auch die Zeit kurz vor meinem 40. Geburtstag. Ein runder Geburtstag, den man gefälligst zu feiern hat. Und im Sommer 2014 sollte meine Mutter 60 Jahre alt werden, noch ein runder Geburtstag. Wurde sie auch. Und starb dann im August.
Während dieser Zeit im Jahr 2014 habe ich zwei lustige Bücher geschrieben und veröffentlicht. Nicht, weil ich da besonders lustig drauf gewesen wäre, sondern weil ich bei einem Verlag eine Chance dafür hatte. Eins übers Nichtreisen, eins über Familienfeiern. Die dann auch nicht so erfolgreich waren wie erhofft.

Vielleicht verständlich, dass ich seitdem wenig Lust habe, meinen Geburtstag zu feiern … oder lustige Bücher zu schreiben.

Da saß ich letzten Dezember also heulend da, weil David Tennant sich nicht auflöste, sondern weiterleben durfte. Fast exakt zehn Jahre nach Matt Smiths Worten bei seiner Regeneration, während meine Mutter im Dämmerlicht des elterlichen Wohnzimmers unruhig neben mir schlief. Das war zu viel auf einmal. Da kam alles zurück. Eine zufällige Parallele, eine unerwartete Vibration. Nicht wegen erzählerischer Genialität, sondern weil das eigene Leben vor dem Hintergrund dieser Fiktion über die Ränder lief.
Daher ignoriere ich auch meinen baldigen 50. Geburtstag. Ich brauche diesen Tag nicht. Es wird ein normaler Arbeitstag sein, an dem ich tue, was ich sonst tue. Mit der engeren Familie. Kein Aufwand, kein Brimborium. Keine Party, nach der mir nicht ist. Ich muss diesen Meilenstein nicht abfeiern, ich brauche ihn nicht, um innzuhalten und darüber zu reflektieren, was in diesen fünfzig Jahren war und was noch kommen könnte.
Diesen Moment hatte ich schon.
Als Tennant und Gatwa sich in die Arme fielen.