Den folgenden Text habe ich für die diesjährige Weihnachtsfolge des Nerdweltenpodcasts geschrieben und eingesprochen. Wer die Folge samt allen anderen Beiträgen hören möchte, findet sie hier auf der Homepage, und die Nerdwelten gibt’s in allen üblichen Podcastkanälen.
Reden wir über Weihnachten. Reden wir über Weihnachtsgeschenke. Und wenn ich davon erzähle, dann denkt ihr wahrscheinlich: der Falko hat sicher mal zu Weihnachten ein Adventure geschenkt bekommen, wahrscheinlich für den Amiga, und dann kann er von diesem wohligen Gefühl damals berichten, von der Faszination dieses Spiels trotz all seiner Unzulänglichkeiten, und wie es die Grundlage geschaffen hat für seine jahrzehntelange Karriere in diesem Bereich.
Nein.
Heute geht es um ein Geschenk, das genau das Gegenteil bewirkt hat. Denn manche Geschenke erfüllen auch den Zweck, ein Abgleich mit der Realität zu sein. Sie stellen eine Weiche im Leben. Die Gleise führen dann vielleicht nicht in die Richtung, die man eigentlich geplant hatte, aber der Zug rollt weiter. Immerhin.
Das Geschenke, um das es geht, hat einen Vorläufer. Wie bei vielen, die in den 80ern groß geworden sind, war es ein Yps-Heft. Das habe ich religiös gelesen. Und gelegentlich kamen auch Sonderausgaben. Eine davon war richtig teuer – knapp 20 DM, wenn ich mich richtig erinnere. Es war ein Bausatz eines echten Radios. Eine rote Plastikschale, in der man alle Bauteile korrekt einbauen musste, um dann tatsächlich ein selbst gebautes Radio zu erhalten. Und ich habe es geschafft. Das Ding war zwar sehr wackelig, es hatte auch keinen guten Empfang, aber ich hatte mit eigenen Händen ein Radio gebaut. Hände, die bis dahin bestenfalls eine Maschine für viereckige Eier hinbekommen hatten.
Ich wollte mehr.
Und das Mehr war ein unerschwingliches Luxusobjekt. Aber ich hatte doch so großes Interesse an Elektronik entwickelt. Ich wollte sie verstehen, so richtig durchdringen. Also wurde die ganze Familie zu Weihnachten motiviert, mir gemeinschaftlich etwas zu schenken, was noch viel mehr versprach, als nur ein Radio: Den Kosmos-Elektronik-Experimentierkasten X4000!
Der sah im Quelle-Katalog schon verdammt beeindruckend aus. Vorne gab es mehrere gelbe Drehregler, einen Lautsprecher und so eine Anzeige mit einer Nadel, wie ein Tacho, und dahinter mehrere Reihen mit metallischen Steckplätzen, auf denen man die Bauteile platzieren konnte: Leiterbahnen, Widerstände, Kondensatoren, Leuchtdioden, alles angetrieben von einem 9-Volt-Block. Was man damit alles bauen konnte! Es sah schon so professionell aus!
Ich bekam den Kasten.
Natürlich wurde der noch am Heiligabend eingeweiht. Die ersten Experimente in der fetten Anleitung gebaut. Eine blinkende LED! Upgrade: die Blinkfrequenz kann mit dem Drehregler eingestellt werden! Eine Photodiode als Lichtschranke, quasi eine Mini-Alarmanlage! Irre, was damit alles ging!
Bald zeigten sich allerdings zwei Probleme mit dem Kasten:
Erstens: die komplexeren Aufbauten in der zweiten Hälfte der Anleitung waren ZU komplex. Irgendwo eine Leiterbrücke vergessen? Nix geht. Endloses Abgleichen des Abdrucks mit der Realität – immer vertrackt, oft ergebnislos. Damit verbunden das andere, größere Problem:
Zweitens: Ich verstand das alles nicht.
Sicher, ich konnte die meisten Experimente aufbauen, und ich konnte nachvollziehen, dass ein Widerstand den Stromdurchfluss verringerte, aber was zum Teufel machte der Kondensator an dieser Stelle genau, und warum war hier das eine Ding mit dem anderen verbunden? Bei den komplexeren Aufbauten war ich völlig überfordert, eben weil ich auch nicht nachvollziehen konnte, WO eigentlich der Fehler auftrat.
Ich habe den Elektronikkasten immer wieder benutzt. Neue Experimente versucht. Viel Zeit damit verbracht. Aber irgendwann kam der Punkt, an dem ich mir eingestehen musste: das ist nix für mich. Nun kam bei mir ungefähr zum gleichen Zeitpunkt ein C64 ins Leben, und ich sag mal, dieses interaktive Geschichtenerzählen, das fand ich auch nicht uninteressant … und so verschwanden Widerstände, Kondensatoren und Transistoren wieder aus meinem Leben, genauer gesagt: unter die Tastatur des C64.
Was nehme ich von alledem mit? War dieses Geschenk rausgeworfenes Geld? Verschwendete Zeit? Nein, im Gegenteil, es war sehr hilfreich. Es hat verhindert, dass ich mich selbst täusche. Es ist leicht, sich etwas einzureden, man habe bei einer Sache ein Talent oder auch nur großes Interesse. Ob das wirklich so ist, findet man erst heraus, wenn man es ausprobiert. Das halte ich noch heute so. Ich bin mit der Überzeugung aufgewachsen, ich sei unmusikalisch. Irgendwann dachte ich: vielleicht ist das gar nicht so! Und habe eine Gitarre gekauft. Und mir ein paar Bücher gekauft, ein paar Tutorials angeschaut. Und stundenlang geübt. Und da wurde mir klar: ich BIN unmusikalisch. Seitdem verstaubt die Gitarre, aber dient noch als Accessoire im Hintergrund von Videokonferenzen, also der Image-Pflege.
Noch etwas nehme ich von dem Elektronikkasten mit: diejengen von euch, die Kinder haben, kennen das. Das Kind versteift sich auf etwas, will das unbedingt haben. Aber wir, die vernünftigen Erwachsenen wissen: das Ding wird für teuer Geld geschenkt, und zwei Wochen später guckt das Kind es doch nicht mal mehr mit dem Arsch an! Und wir versuchen, es dem Kind auszureden. Das sollten wir nicht tun. Wir sollten – sofern wir das Privileg haben, es uns finanziell leisten zu können – das Experiment wagen. Den Kindern die Türen öffnen. Ob sie durchgehen oder doch keinen Bock haben, zeigt sich früh genug. Kinder sind auch nur Katzen. Vielleicht wird tatsächlich ein ungeahntes Talent geweckt. Vielleicht wird eine Karriere daraus.
Das würde ich mir ja auch von der Schulpolitik wünschen: verdammt noch mal, wenn es heißt, man müsste mehr Geld in Schulen und Bildung investieren, dann schmeißt die Kohle auf genau den Kram, der NICHT im Lehrplan steht, sondern verbrennt den Lehrplan und lasst die Kinder stattdessen wild rumprobieren, was sie interessiert. Eine verschwendete Jugend ist die beste Basis fürs Erwachsensein. Ich weiß, ein unrealistischer Traum, denn wir sind immer noch in Deutschland hier, im Föderalismus, in dem Bundesländer wetteifern, wer mehr Stoff und diesen schneller als die anderen in die Kinderbirnen dübelt. Wenn ich damals als Jugendlicher neben dem Experimentierkasten auch eine AG in der Schule zu diesem Thema gehabt hätte, andere Leute, die sich dafür interessieren, eine Lehrkraft, die hilft, alles besser zu verstehen … vielleicht hätte es bei mir Klick gemacht, und alles wäre anders gekommen. Deutschland hätte dann heute den Fachkräftemangel im Elektrobereich und die Germanistenschwemme gleichzeitig minimal verringert! Doch es hat nicht sollen sein.
Also müssen wir es im Kleinen tun, im Privaten. Ich habe gerade nachgeschaut. Solche Experimentierkästen gibt es immer noch. Wenn ihr also ratlos seid, was ihr nächstes Mal den eigenen oder anderen Kindern schenken sollt … dann experimentiert.