Nein, ich habe keine Angst vor der KI

Okay. Hilft ja alles nix. Reden wir darüber, und ich sage es direkt: Nein, ich habe keine Angst davor, dass die KI meinen Job als Game-Autor bald überflüssig macht. All die Heilsversprechen und Prognosen halte ich für übertrieben, und sie sind bewusst übertrieben, um Investorengeld in Taschen zu befördern, nachdem sich die Heilsversprechen um Blockchain, NFTs und Metaverse nun doch nicht erfüllt haben. KI wird – anders als die genannten Begriffe – ein echtes Werkzeug mir einer realen Anwendung sein, und auch ich werde mich damit in der Praxis befassen müssen, aber nicht so, wie manche Leute es gerade prognostizieren.

Apropos prognostizieren: hab ich vor 10 Jahren auch mal getan.

Der vorläufige Höhepunkt des Hypes war letztens ein Moment in einer Präsentation von nVidia, in der jemand mit einem Charakter in einem Spiel sprach und die Figur auf dem Bildschirm sofort antwortete. Dabei wurde die Sprache erkannt und die Antworten generiert. Wobei man hier schon einschränken darf, dass die Live-Antworten von der KI stammten, aber dass sicher exakt dieser Ablauf vorher hundertfach getestet wurde.

Die Technik dahinter stammt von der Firma Convai, und Matt Wolfe (Selbstbeschreibung: „Investor obsessed with AI, future tech, and the creator economy“) hat mit dem Gründer der Firma, Purnendu Mukherjee, gesprochen. In diesem Video sieht man genauer, wie das Tool funktioniert:

„Video games will never be the same“ , ist Wolfes Einstiegssatz. Er scheint das wirklich zu glauben, aber das muss er als „Investor“ wohl auch. Nur … warum ist die Szene mit dem NPC so generisch, wie sie sein kann? Warum ist der Dialog von der Sorte, die ich schneller wegklicke, als ich gucken kann? Wenn etwas never the same sein wird, will ich sehen, was den Hype rechtfertigt, aber es handelt sich dann auch nur um ein Tool das Simplifizierung nutzt, um Komplexität vorzutäuschen. Schauen wir hier:

Beim Schreiben – sei es Buch, Film oder Spiel – machen Autor*innen immer Notizen über ihre Figuren, und gerade bei größeren Games werden daraus umfangreiche Datenbanken. Da gibt es Charakterbeschreibungen, Flowcharts usw. Alles, was auch Convai beinhaltet – nur dass Convai dann daraus einen ganzen Spielcharakter generiert, der seinen Dialog auf Basis dieser Daten ausspuckt. Diese Daten – also die Charakterzüge – kann man definieren:

Und spätestens da erreichen wir einen Punkt, an dem ich innerlich abschalte. Da sind wir in dem Territorium, das Leute für Storytelling halten, die nix von Storytelling verstehen. Ist doch super, wenn sich ein Charakter auf fünf Charakterzüge runterbrechen lässt, die man einstellen kann, und dann verhält er sich entsprechend. Hierdurch wird es in meinen Augen noch schlimmer:

Ach, seufz. Ja, klar, so macht man interessante Figur. Press X to pay respects. Das wird für viele Leute sehr schlüssig wirken. Problem ist, dass dann nur Pappkameraden entstehen. Wird im Video direkt im Anschluss auch demonstriert – ab Timecode 5:10. Ich weiß, ich weiß. Die Entwicklung bleibt nicht stehen, das wird alles noch viel besser, aber ehrlich … möchte irgendwer auch nur drei Sekunden mit einem NPC verbringen, der einfach nicht die Klappe hält?

Eindimensionale Charaktere bleiben eindimensional, egal wie groß die Datenbank ist und egal wie schnell sie antworten. Der Dialog mit den Test-NPCs in diesem Video ist ein netter proof of concept, aber ein Spiel, das nur mit Figuren bevölkert ist, die mich langweilen, habe ich schneller deinstalliert, als ich uncanny valley sagen kann.

Und wieder jaja, ich weiß, ich weiß, das ist erst der Anfang, bald wird das alles viel filigraner, viel besser, so wie die Kernfusion uns übermorgen alle retten wird. Aber das reduziert Storytelling zu Buchhaltung und Datenbankmanagement.

Ich glaube, das Problem ist, dass man mit solchen Tools zwei Möglichkeiten hat:

  • Man gibt einem NPC nur grundlegende Informationen und lässt die KI alles machen und die Lücken füllen. Das würde man bei einem Spiel mit sehr vielen NPCs tun. Aber keiner von denen funktioniert komplett für sich, und entweder kommt es dann zu Widersprüchlichkeiten oder alles bleibt sehr oberflächlich und repetitiv.
  • Man definiert einen NPC in dem Tool sehr detailliert aus, fängt alle Kausalitäten ab, macht ihn möglichst rund und überzeugend. Das kann man sich nur erlauben bei Figuren, die tragende Rollen spielen, die wichtige Informationen im Dialog vermitteln, und die sollte man sowieso selbst schreiben, damit sie exakt so funktionieren, wie sie gedacht sind.

In der Realität werden wir natürlich beide Möglichkeiten umsetzen. Und es wird lustig, dann zu debuggen, ob der Quatsch, den ein NPC von sich gibt, von einem wie mir oder von der KI stammt.

Es gibt im Video (und im Netz da draußen) auch die Behauptung, alle KI-Technologien würden die Entwicklung von Spielen dramatisch beschleunigen.

Haha.

Nein.

Sagen wir es so: beschleunigt wird sicher die Herstellung irrelevanter Shovelware. Aber die riesigen Spiele, die Tools wie Convai benutzen müssen, um Charaktere zu generieren und zu verwalten, haben viele Baustellen. Und ebenso nein: die Generierung der anderen Assets mag auch durch KI beschleunigt werden können, aber ein Mammutprojekt bleibt ein Mammutprojekt, zumal sich die Open-World-Titel gegenseitig hochschaukeln werden, wie viele virtuelle Quadratkilometer und wie viele tausend ausformulierte NPCs rumlaufen, wie verschachtelt die Storylines sind usw. Es wird weiterhin viele Jahre dauern, die AAA-Titel zu entwickeln, und ich fürchte, ich als mittelalter Spieler mit begrenztem Zeitbudget, werde dann eben doch bei den kleinen, überschaubaren Titeln bleiben.

(Man könnte jetzt noch das Fass aufmachen, dass diese Spiele natürlich laufend auf Server zugreifen müssen, auf denen die KI ihre Berechnungen durchführt, was erstens jeden Titel zum Online-Spiel macht und zweitens gewaltig Rechnerressourcen verbraucht, aber lasst euch halt dieses Argument von ChatGPT schreiben, ich muss noch duschen.)

Zusammengefasst und subjektiv:

  • Es ist unvermeidbar, dass KI die langweilige Content-Masse generiert. Damit müssen Leute wie ich umgehen.
  • „Ohne KI erstellt“ wird gerade im Indie-Bereich ein Gütesiegel werden wie „ohne Glyphosat“ oder „natürliche Freilandhaltung“.
  • Ich werde mich nicht vor der Verwendung von KI-Tools sperren, aber mit einer Firma, die mich freudestrahlend komplett durch eine KI ersetzt, will ich gar nicht erst arbeiten.