Ich möchte direkt ein paar Sachen klarstellen:
Nein, es gab keinen Vorfall, weswegen ich Facebook gelöscht habe, es ist nur der letzte Schritt eines langen mentalen Prozesses.
Nein, es ist nicht performativ gemeint. Ich möchte mich nicht moralisch erheben oder anderen Leuten ein schlechtes Gewissen machen, die sich nicht bei Facebook löschen. Das ist eine individuelle Entscheidung, und es wird für viele Leute gute Gründe geben, das nicht zu tun.
Nein, es hat nicht funktioniert, Facebook einfach nicht zu nutzen, aber den Account zu behalten. Wenn ich auch nur alle paar Tage mal reinschaue, ob ich Nachrichten habe, wirkt die Seite auf mich, als würde ich sie täglich nutzen.
Ja, alle guten Gründe, Facebook zu löschen, kann man auf Twitter, auf Youtube und eigentlich aufs ganze verdammte Internet übertragen. Trotzdem lösche ich mich nicht auf allen anderen Seiten. Ist das inkonsequent? Nein, siehe der Punkt oben, individuelle Entscheidung, gute Gründe.
Es ist nicht mein erster Versuch. Vor etwa zwei Jahren habe ich es schon mal probiert, Facebook zu löschen, und sie greifen tief in die psychologische Trickkiste, wenn du es versuchst. Hier sind all deine Freunde, die dich vermissen werden. Willst du nicht lieber eine Pause einlegen, statt ganz zu löschen? Okay, wir löschen, aber erst in dreißig Tagen, und wenn du dich bis dahin wieder einloggst, ist alles wie vorher.
Da war ich schwach, habe alles reaktiviert und mir gesagt: hey, du benutzt den Drecksladen einfach weniger. Also habe ich die App vom Smartphone und vom Tablet gelöscht, den Bookmark am Desktop, und eine Zeit lang hat das recht gut funktioniert. Um mehr Inhalte zu sehen, die tatsächlich sehen will, habe ich begonnen, Listen anzulegen, viele Seiten und Leute zu deabonnieren, die ich nicht in der normalen Timeline brauche. Dann habe ich aufgehört, selbst Dinge zu posten, nur mal einen Link zu teilen, den ich besonders wichtig fand. (Die schönste und praktischste Phase meiner Facebook-Zeit war, als es noch funktionierte, einen Tweet automatisch auch auf Facebook erscheinen zu lassen, aber da alle Social-Media-Höllen für sich funktionieren wollen, wurden alle Schnittstellen geschlossen.)
Die Folge dieser Maßnahmen war, dass meine Timeline nur noch kruder und uninteressanter wurde. Facebook schien mir querbeet alles Mögliche an den Kopf zu werfen, bloß damit ich öfter komme, mehr interagiere, länger bleibe. Wie ein wirklich nerviger Verkäufer, dem man deutlich gesagt hat, dass man seine Sachen nicht braucht.
Es gibt viele kleine Gründe für mich, Facebook endgültig zu löschen, und dazu komme ich noch, aber ich will ehrlich mit mir selbst sein: der Hauptgrund ist mein ganz persönlicher Drang, etwas zu verändern, und das hängt – wen wundert’s – mit den letzten anderthalb Jahren zusammen.
In dieser seltsamen Phase kamen die persönlichen Lebensumstände unters Brennglas, beruflich wurde alles durcheinander gewirbelt, der Alltag war auf einmal völlig anders und alle paar Wochen wurden gesellschaftliche Konventionen angepasst. Ich werde mich an diese Zeit immer als »DIE GROSSE TRÄGHEIT« erinnern. Als freier Autor, dessen Leben primär daraus besteht, auf dem Hintern zu sitzen (um Stephen King zu zitieren), ist mein Leben nie von großer Geschwindigkeit bestimmt, aber ich brauche Flexibilität und Neugierde, muss Sachen ausprobieren, die ich vorher nicht erwogen habe, um nicht in einem »Weiter so«-Modus zu verharren und von Veränderungen hinterrücks erwischt zu werden.
Facebook ist für mich der Inbegriff der Trägheit. Wie so viele habe ich mich damals registriert, als es um sich griff und alle anderen Sachen wie StudiVZ (das war sowieso nach meiner Zeit) oder wer-kennt-wen (wer denkt nicht mit Schrecken an diese ASCII-Hölle zurück) obsolet machte. Und auch wie so viele habe ich begonnen, meine Texte und Gedanken nicht mehr ins Blog zu schreiben, sondern bei Facebook. Dort erreicht man direkt die Leute, die man adressiert. Man muss kein Kommentarsystem einrichten und verwalten. Der Messenger ist auch nur einen Klick weit weg. Alles so bequem. So träge. Irgendwann ist Facebook einfach da. Nicht, weil man es nutzen will, sondern weil es dazugehört, weil es der Draht zur Außenwelt ist.
Der einzige Draht, wenn es nach Facebook selbst geht.
Dann arrangiert man sich halt mit den vielen kleinen Dinge, die so nerven. Diese Timeline, die man nicht gezügelt bekommt. Freund X hat auf der Seite seiner Lokalzeitung eine bissige Erwiderung auf einen Hasskommentar geschrieben? Super, weiter so, Freund X! … aber warum taucht das in meiner Timeline auf? Ich muss die Seite der Lokalzeitung komplett sperren, sonst bekomme ich so was immer wieder. Wenn ich ein paar Tage nichts mache, bekomme ich Benachrichtigungen, dass X was bei Y kommentiert hat. Benachrichtigungen! Als wäre Facebook meine toxische Beziehung, die immer Aufmerksamkeit will!
Hm, wo ich so darüber nachdenke …
2021 war ich sehr träge. In jeder Hinsicht. Ich habe nicht nur auf Facebook Zeit verschwendet, sondern viele andere Möglichkeiten gefunden, unproduktiv zu sein – und deswegen unzufrieden mit mir selbst. So weit, dass ich – es ist Murmeltiertag! – wieder einmal erwäge, die Freiberuflichkeit aufzugeben. Will ich nicht. Aber ich brauche eine Veränderung. Einen Arschtritt. Muss eine schlechte Gewohnheit ablegen.
Der Schritt, Facebook zu löschen, ist so einer. Ich weiß, ich weiß: lachhaft, einen Drang nach Veränderung zu fühlen und deswegen einen popeligen Account zu löschen. Das soll was bringen? Nun: ja. Hoffe ich. Jetzt, wo ich es getan habe, herrscht noch FOMO-Bauchgrummeln und mein Überlebensinstinkt sagt mir, dass ich einen großen Fehler gemacht habe. Schließlich kam es tatsächlich vor, dass Leute mich wegen Jobs über die Plattform kontaktiert haben.
Wahrscheinlich werde ich noch wochen- oder monatelang nach dem Öffnen des Browsers die Domain eingeben und dann auf den Anmeldeschirm starren, bis mir einfällt, dass ich gelöscht habe. Nein, da ist überhaupt kein Gefühl der Erleichterung. Vielleicht irgendwann. Hoffentlich. Wenn der Reflex abebbt, nach der roten Benachrichtigung oben rechts zu schauen.
Das ist also mein egoistischer Hauptgrund: ein Selfcare-Arschtritt. Denn ich will gerade nicht nur ein Buch schreiben, sondern zwei. Und selbst ein flüchtiger Blick auf Facebook hat mir oft genug einen halben Tag versaut.
Ein anderer Grund für die Löschung, der damit zusammenhängt, steht eigentlich im Widerspruch zu einer meiner grundlegenden Überzeugungen.
»I’d take the awe of understanding over the awe of ignorance any day«, hat Douglas Adams geschrieben. Wissen ist wertvoller als Glauben, und beides kann Ehrfurcht auslösen. Ich hasse es, dass Adams nicht mehr lebt, denn niemand hätte das Leben mit Twitter und Facebook treffender kommentiert. Vielleicht hätte er diesen schönen Satz dann aber auch relativiert. Denn was ich beim Blick in die Köpfe einiger Mitmenschen gesehen habe, hätte ich lieber nicht gewusst.
Klar, erstens ist das die Minderheit, zweitens ist jeder Mensch vielschichtiger als ein einzelner Kommentar auf Facebook, und man muss nicht alles überbewerten. Es fällt mir aber in vielen Fällen schwer, die reale Person mit ihrer Facebook-Identität in Einklang zu bringen, wenn Letztere mindestens naiv und nachplappernd ist, schlimmstenfalls offen bösartig. Handelt es sich um Personen, die man zu kennen glaubt oder ins Buch der coolen Leute geschrieben hat, aber die mit Äußerungen rumkommen, die mich selbst fassungslos machen, würde ich diese Erkenntnis gern ungeschehen machen. Oder wäre das falsch? Ist das nicht sogar ein Vorteil von Facebook, dass man, sofern es die anderen Leute zulassen, in ihre Köpfe schauen kann?
Ich weiß nicht. Wir werden uns als Gesellschaft noch einige Zeit an der Frage die Zähne ausbeißen, wo »Meinung« aufhört und »Hass« anfängt. Ich bin nicht so empfindlich, dass eine Meinung, die nicht exakt der meinen entspricht, automatisch falsch und verachtenswert wäre. Aber meine Geduld ist endlich bei Leuten, die unbesehen den letzten Bullshit und offensichtliche Hetze bei Facebook blind weiterverteilen.
Fast noch schlimmer finde ich inzwischen die Zwinkizwonki-Fraktion, die das ehrenwerte Stilmittel der Ironie so weit überdrehen, dass daraus Sarkasmus wird, der nur der Selbstbeweihräucherung dient. Ich lasse das jetzt so unbestimmt stehen, weil ich ansonsten konkret über einige Leute schreiben müsste, aber darauf habe ich keine Lust. Diese Unlust ist aber ein starker Faktor für mich, dieser Plattform den Rücken zu kehren. Ich will weder auf der Seite der Lokalzeitung die Hasskommentare kontern, noch will ich mit Leuten aus meinem Dunstkreis auf eine Weise diskutieren, die für niemanden gewinnbringend ist.
So.
Facebook ist gelöscht. Was nun?
Jetzt schreibe ich zwei Bücher.