Bindet mir keinen Bullen auf

A strange game. The only winning move is not to play. – „Wargames”, 1983

Ich bin Freiberufler. Geld ist mir nicht egal, ganz im Gegenteil. Ich mag Geld. Es macht satt und manchmal kaufe ich Dinge davon. Gelegentlich kam es vor, dass die Freiberuflichkeit nicht so toll lief, und dann wurde es knapp, was keinen Spaß gemacht hat. Zu viel davon hatte ich nie, wie auch, wenn man vom Schrei(b)en lebt und nicht in diversen Listen ganz oben steht, aber hey, es funktioniert, man muss nur bei bestimmten Dingen geizig genug sein.

Ich habe nie irgendwo Geld investiert mit dem Ziel, es zu vermehren, und denke nostalgisch an die Zeit zurück, als man am Jahresende ein paar Zinsen bekam, weil man irgendwo auf einem Konto etwas Geld rumliegen hatte und nicht weiter drüber nachdenken musste. Lässt man heutzutage Geld auf einem Konto rumliegen, bekommt man – wenn man Glück hat – 0,01% Zinsen. Das und kopfschüttelnde Belehrungen, so was mache man heutzutage doch nicht mehr, das sei so typisch langweilig deutsch. Man müsse das Geld für sich arbeiten lassen. Der ganze Aktienmarkt sei doch inzwischen auch für Kleinanleger spannend, zumal es Neo-Broker mit geringen Gebühren gibt. Selbst mit wenig Geld könne man sich nach und nach ein Depot aufbauen und über die Jahre pflegen, alles kein Hexenwerk. Natürlich immer gefolgt vom wohlmeinenden Rat, man solle am Aktienmarkt kein Geld investieren, dessen Verlust man nicht verkraften könnte, was natürlich total kompatibel mit dem Rat ist, sich dort eine Altersvorsorge aufzubauen.

Der Aktienmarkt war schon immer eine Bildungslücke bei mir. Traditionell stehe ich einem Bausparvertrag näher als einem Depot. Aber mit Blick auf die Nullzinsen dachte ich mir: okay, ich schaue es mir näher an, und sei es nur, um diese Bildungslücke zu füllen. Langweilig und feige wie ich so bin, las ich erst zwei Bücher die den absoluten Neulingen die Begrifflichkeiten und Regeln dieses Marktes erklären, dann registrierte ich mich bei einem dieser Neo-Broker mit den angeblich so niedrigen Gebühren, hielt meine Fresse in die Kamera, damit ein gelangweilter Callcenter-Angestellter meine Existenz verifizierte. BÄM, ich hatte ein Depot!

Eigentlich war mein Plan: ich suche mir ein nachhaltiges ETF raus, in das ich monatlich einen kleinen Betrag überweise und dann schaue ich nach einem Jahr, wie sich das alles entwickelt. Nun wusste ich aus den Büchern, die ich gelesen hatte, dass man sein Depot diversifizieren sollte. Außerdem wurde mir klar, dass dieser Neo-Broker zwar niedrige Gebühren hat, aber jede kleine monatliche Überweisung eine solche kostet – da war es strategisch besser, die für ein Jahr anvisierte Summe direkt reinzustecken und nur ein Zwölftel der Gebühr zu zahlen. Und: vielleicht nicht nur in ETFs, sondern wie geraten diversifizieren, ein wenig in Tech-Firmen mit Wachstumsaussicht stecken.

Also: 500 Euro aufs Verrechnungskonto, paar Tech-Aktien, paar nachhaltige ETFs.

Und dann …

Nun, seitdem beobachte ich das Ding.

Wenn ich in den Nachrichten irgendwelche Jubelmeldungen über die Börse sehe, hat das Depot einen Wert von vielleicht 540 Euro.

Wenn in den Nachrichten von “zurückhaltenden Anlegern” die Rede ist, hat es einen Wert von 460 Euro oder so.

Ja, liebe Börsenprofis, mir ist klar, dass ich das jetzt nicht richtig mache. Würde ich das alles ernst nehmen, würde ich jeden Tag die Kurse checken, das Depot optimieren, irgendwas hin und her schieben (und jedes Mal die Transaktionsgebühr zahlen, super). Ich blöke hier nur inkompetent vom Seitenrand rein, und ich weiß, dass ihr das alles besser könnt, dass der Aktienmarkt ein Instrument ist, das man erst beherrschen lernen muss.

Das, oder er ist eine cthulhuische Monstrosität, von der man sich besser als Normalsterblicher fernhalten und rückwärts in die Hecke laufen sollte.

Ich kann mir jetzt, wo ich ein wenig an der Oberfläche dieser Welt gekratzt habe, auch gut vorstellen, dass es da draußen Menschen gibt, die den ganzen Tag den Aktienmarkt bespielen, entweder beruflich oder private Vermögensoptimierung betreiben. Das sind aber definitiv nicht die “Kleinanleger”, denen eingebläut wird, sie sollten sich auf keinen Fall diese gewaltigen Wachstumschancen am Aktienmarkt entgehen lassen. Sind all wir “Kleinanleger” nicht das Brennholz, das dieses Ding überhaupt erst am Laufen hält? Fehlen uns nicht die Mittel, um die Kohle anzufachen, damit es sich richtig lohnt? Kommen die fetten Gewinne nicht logischerweise bei denen an, die überhaupt erst dick Kohle reinwerfen?

Anders gesagt: verschwende ich hier nicht meine Zeit, solange ich nicht weiß, wohin mit Geld?

Nun kam dieser Tage eine fröhliche Mail vom Neo-Broker: Juhu, ihr könnt bei uns jetzt auch in Kryptowährungen und NFTs investieren.

Meine Reaktion darauf möchte ich so in Worte kleiden:

FUCK YOU!

Mag sein, dass ich von diesen beiden Gebieten noch weniger als vom Aktienmarkt verstehe, und, hey, ich gehe auf die 50 zu und vielleicht ist mein Altersstarrsinn-Depot besonders nachhaltig und diversifiziert aufgebaut, aber dieser Bullshit ist eine weltfremde Tech-Lösung, die ihr Problem sucht, ein Schneeballsystem für Blender. Dass ein Neo-Broker sich freut, seiner Kundschaft nun auch endlich diesen Kram anbieten zu können, sagt mir alles, was ich wissen muss.

Nope, nicht meine Welt. Ich arbeite lieber für mein Geld.

Werde die Kohle aus dem Depot abziehen und dann alles schließen.

Muss nur warten, bis der Wert wieder über 500 Euro ist, denn ich will ja auch keinen Verlust machen.

Vielleicht warte ich dann etwas länger.

Könnte ja noch wachsen.

Wenn der Markt sich erholt.

Nur ein bisschen.