Liebesgrüße aus der Autor-Midlife-Crisis

Leute, die nicht schreiben, würden so etwas wahrscheinlich als einen Writer’s Block bezeichnen, aber ich mache diesen Job lange genug, um zu wissen, dass das bei mir keiner ist.

Ein Writer’s Block gilt als die Angst vor der leeren Seite. Als Sinnbild des von Selbstzweifeln erfüllten Künstlers, der daran vergeht, seine Vision nicht auf das Papier bannen zu können.

Das ist es bei mir nicht.

Letztes Jahr habe ich vier Romane übersetzt. Aktuell schreibe ich ganz ohne Writer’s oder sonstige Blocks an einem Spiel. Es ist nicht so, dass meine Kreativität versiegt wäre. Nach wie vor schreibe ich komplett wirre Kurzgeschichten oder Blogeinträge wie diesen hier. Ich zweifle nicht an meiner Fähigkeit, Worte in eine bestimmte Reihenfolge zu organisieren, und das wäre auch ziemlich doof, wenn sie abhanden käme, weil ich nicht weiß, wie rum man einen Hammer halten muss.

Mir sind auch nicht die Ideen ausgegangen. Drei oder vier fast leere Dokumente mit Ansätzen von Buchideen finden sich in meinem “Romane”-Ordner.

Aber sobald ich eins davon öffne, stoße ich damit das Tor zum Nihilismus auf.

Eigentlich geht es mir um den Schreibprozess und nicht um das Veröffentlichen. Eigentlich habe ich überhaupt keine Probleme damit, für die Schublade zu schreiben. Eigentlich habe ich bislang immer versucht, die Auftragsjobs und das Privatleben so arrangiert zu bekommen, dass genug Zeit übrig bleibt, in der ich an meinen Büchern arbeiten kann.

Inzwischen ist es mir schlicht egal, ob ich Zeit zum Schreiben an eigenen Büchern habe oder nicht.

Das ist für mich eine völlig neue Erfahrung. Denn seit ich 14 bin, will ich schreiben. Normalerweise.

Schülerzeitung, ca 1988

Jetzt, 30 Jahre später, bin ich ein Mittvierziger, der seit 15 Jahren als freier Autor und Übersetzer überleben kann (womit ich schon ganz zufrieden bin, denn selbst das zu schaffen, ist schwer genug), aber nur die wenigste Zeit davon konnte ich davon leben, an meinen eigenen Sachen zu schreiben. Anders gesagt: Ein Bestseller ist nach wie vor eine schöne Vorstellung.

Es ist auch nicht unbedingt so, dass der Buchmarkt geduldig wäre und man automatisch eine Karriere aufbauen könnte, wenn man nur alle paar Monate ein Buch rausbringt. “Der Buchmarkt” ist in der Zersplitterung von Groß- und Kleinverlagen, Buchhandelsketten und kleinen Läden, Spitzentiteln und Selfpublishing sowieso kaum noch als ein Markt zu sehen.

Meine Bücher bei Großverlagen haben nicht eingeschlagen wie von mir selbst oder vom Verlag erhofft. Sicher, alles ganz respektabel, aber eben nicht genug, um eine Basis zu bauen, von der aus weitere Bücher zu Selbstläufern werden.

Dazu kommt: Ich habe Fantasy, Jugendkrimi, Humor, Thriller und Kurzgeschichten veröffentlicht. Strategisch ist das eine Katastrophe, weil ich in keine Schublade passe (gut, ich passe mit Schuhgröße 47/48 auch nirgendwo rein), aber das macht es nicht leichter.


Natürlich denke ich viel über den Buchmarkt nach und über Strategien, wie ich aus den Verhältnissen das Beste machen kann. Schließlich habe ich den Vorteil, bei einer namenhaften Agentur unter Vertrag zu sein. Und für exotische Romane könnte ich den Weg des Selfpublishing beschreiten.

Das ändert aber nichts an meinem Widerwillen, wenn ich ein Romandoc öffne.

Wieder diese Ochsentour bei den Großverlagen? Wie wird das Buch platziert, wie gestalten wir das Cover, was sagt der Vertrieb dazu, was sagt der Handel dazu, was sagen die großen Ketten dazu, passt es ins Verlagsprofil, deckt man damit eine große, aber nicht zu allgemein gefasste Zielgruppe ab etc.

Oder halt Selfpublishing? Wie viel kosten professionelles Cover und Lektorat, wie verkaufe ich das Buch überhaupt, sollte ich frühzeitig mögliche Leser einbingen, wie viel Social Media ist nötig und wo ist es zu viel etc.

Und gewinnt man den Jackpot mit einem guten Verlagsvertrag, steckt man ganze Monate seines Lebens in dieses Buch, in der Hoffnung, nun den Lotterieschein mit den sechs Richtigen in den Handel zu bringen, man vernachlässigt alle anderen Aspekte seines Lebens, denn man möchte alles so gut wie möglich hinbiegen, und das könnte doch wirklich der Bestseller werden.

Es war bei mir früher nur eine klitzekleine Stimme des Zweifels, aber inzwischen spricht sie in einem überzeugenden Bass: Junge, das ist doch Quatsch, es bringt doch alles nichts, steck deine Zeit und Energie in andere Sachen.


In der Phase, in der ich tatsächlich rund um die Uhr an eigenen Büchern arbeiten konnte, ist meine Mutter an Krebs gestorben. Das eine Buch war gerade erschienen und ich gab dafür ein Radio-Interview nach dem anderen, und das nächste Buch schloss ich gerade ab. Wenn ich also nicht lustige Dinge im Rundfunk erzählte oder schrieb, war ich mit Sterbebegleitung beschäftigt.

Das ist jetzt auch schon vier Jahre her.

Ich kann nicht behaupten, dass es in meinem Kopf keine Rolle mehr spielt.


Wenn ich mit Kolleginnen und Kollegen plaudere, gerade mit denen aus einer vergleichbaren Altersklasse, stelle ich fest, dass ich mit meinen Symptomen nicht allein bin. Vielleicht ist es völlig normal, etwa zur Mitte des Schreiblebens zu merken, dass man vielleicht niemals ein richtig erfolgreiches Buch rausbringen wird.

Schaue ich dann in den sozialen Medien zu all dem hoffnungsfrohen Nachwuchs, diesen JUNGEN LEUTEN ™, die bestenfalls im Studium sind, ihre ersten Bücher rausbringen und davon überzeugt sind, die Literaturwelt im Sturm zu nehmen …

„Marburger Express“, Dezember 1998

… dann könnte ich froh sein, schon einen Schritt weiter zu sein.

Ich könnte sie aber auch am Kragen packen und durchschütteln und KOMM ERST MAL IN MEIN ALTER UND IN MEINE DESILLUSIONISIERUNG ins Gesicht brüllen.


Die Lösung, wieder auf Spur zu kommen, liegt nah:

Nicht nachdenken, nichts verkopfen.

Erzähle die Geschichten, die dich faszinieren.

Mach dir keinen Druck, dass daraus ein Buch werden muss.

Kurz und hessisch gesagt: “Stell dich net so an.”


Meine Geschichten habe ich von Anfang an ausgedruckt und abgeheftet. Wenn man regelmäßig schreibt, kann auf diese Weise ziemlich viel Material zustande kommen:

Die meisten Ausdrucke waren auf Lochpapier, und das Schreibgerät war ein Amiga 500.

Das alles habe ich nun in den Müll geschmissen.

OK — die Textdateien an sich habe ich auf den PC konvertiert bekommen und ich kann jederzeit den Kram nachlesen.

Der größte Teil meiner Buchsammlung wandert in die Phantastische Bibliothek Wetzlar. Meine Computerspiele und DVDs werden abgebaut, die Konsolensammlung verhökert.

(Das hängt jetzt nicht inhaltlich zusammen, aber psychologisch vermutlich schon: Ich war nur einen Klick davon entfernt, meine Facebook- und Twitter-Accounts zu löschen, aber für den Moment begnüge ich mich damit, die Notifications zu deaktivieren. Und ich bin mir der Ironie bewusst, einen Link zu diesem Artikel dort zu teilen. Aber das alles wäre ein eigenes Thema.)


Ich habe keine Ahnung, ob diese Maßnahme etwas hilft. Ob die Luft, die ich mir so verschaffe, wieder Lust auf Kreativität macht. Es ist keine bewusste Handlung, zu der mir irgendwer geraten hätte, aber ich war mir gewiss, dass ich es tun musste.

So, wie ich auch diesen Text hier schreiben wollte, der nicht unbedingt das ist, was man unter dem Hashtag #autorenleben da draußen sonst findet.


Ich muss wohl zum Allheilmittel greifen und wieder “On Writing” von Stephen King lesen. Denn wie er darin sagt:

Writing isn’t about making money, getting famous, getting dates, getting laid, or making friends. In the end, it’s about enriching the lives of those who will read your work, and enriching your own life, as well. It’s about getting up, getting well, and getting over. Getting happy, okay? Getting happy.

Ich arbeite dran, Steve.

Versprochen.